Beauftrage ich eine „künstliche Intelligenz“ (DALLE von Open AI über ChatGPT) genau das zu zeichnen, was ich im Alternativtext in Worten beschrieben habe, kommt sogar auch ein schönes Bild mit der Retro-Ästhetik eines historischen Sachbuchs heraus. Es könnte sich beinahe um eine Lithographie handeln.
Zwar zeigen die Pfeile nach oben und unten, aber dass es keine drei sein dürfen, habe ich tatsächlich nie gesagt.
Bitte ich in knapperen Worten auf Englisch um eine Zeichnung, erscheint die typische surreale Hochglanzästhetik mit Uncanny-Valley-Effekt, die wir gerade zu oft als Illustration uninspirierter Blogbeiträge sehen müssen.
Betrachten wir alle drei Ansätze nebeneinander, wird deutlich, dass auch die beiden scheinbar so verschiedenen KI-generierten Grafiken einige Gemeinsamkeiten haben, die sie von der Fotografie der handgemalten Skizze im Notizbuch unterscheiden. Aber wenn es bloß um Ästhetik ginge, könnten wir die KI ja auffordern, den gewollten Look zu produzieren:
Bitte male eine handgezeichnete Skizze von zwei Figuren in einem Kasten mit Pfeilen nach oben und nach unten als Symbolzeichnung zu Notizen zum Thema Elevator Pitch. Die Skizze soll spontan und unperfekt aussehen, wie in einem Notizbuch, wo sich die Schrift von der Rückseite leicht durchdrückt. Es soll aussehen wie schnell mit einem blauen Kugelschreiber dahingezeichnet und später an den Rändern mit Buntstiften in orange und hellgrün schattiert.
Ich hätte nicht erwartet, dass „ein Bild mit Buntstiften schattiert“ in diesem Sinne missverstanden werden kann. Aber das ist nicht das einzige Problem.
Wo sind die Pfeile nach unten geblieben? Warum ist der Kasten zum Aufzug geworden und warum tragen die beiden Personen Krawatten?
Mit dem Machwerk, dass mir ChatGPT in frecher Selbstüberschätzung als das scheinbar gewünschte Ergebnis mit den Worten präsentiert „Perfekt für deine Notizen zum Thema Elevator Pitch,“ habe ich dann auch schon mein Budget an kostenloser Bilderzeugung für heute ausgeschöpft. Zum Glück! Schluss mit der digitalen Hässlichkeit, zurück zur Handarbeit!
Abgesehen von den generellen Nachteilen der heutigen künstlichen Intelligenz, wie Energieverschwendung und Fake News, hat sie schone eine legitime Daseinsberechtigung als neues Werkzeug, so wie die Fotografie eine eigene Kunstform und kein bloßer Ersatz der Malerei wurde.
Klischeehafte Bildsprache
Doch die von Laien mit KI generierten Bilder sind auf eine andere Art gefährlich: Klischees, Vorurteile und Stereotypisierung – Probleme, derentwegen auch die Kunstform Comic oft zurecht kritisiert wurde.
Zeichnen wir selbst, können wir Klischees bewusst einsetzen und auf eine Weise vereinfachen, die zumindest in unseren eigenen Augen den Sinn erkennen lässt. Gut genug also für unsere eigenen Notizen. Das Prinzip von Vereinfachung und Mut zur kindlichen Strichzeichnung nennt sich übrigens pragmatisches Skizzieren (pragmatic Sketching), wie ich auf einem Vortrag der Berliner Designerin Eva-Lotta Lamm („The joy of doing ugly sketchnotes“) gelernt habe. Meine Skizze zum Elevator Pitch ist eine pragmatische Skizze. Die folgenden Karikaturen fiktiver Personen vielleicht auch, denn ich habe in sehr kurzer Zeit einige Merkmale festgehalten, die mir auffielen und die mir nicht schwer fallen zu zeichnen: Brillen, Bärte, Mützen und eine Ahnung von Augen, Gesichtsausdrücken und Kopfformen.
Aber mein Blick auf leicht zu zeichnende Accessoires verfehlt vielleicht die Wesentlichkeit des Augenblicks, indem sie irrelevante Details betont, während wichtige andere Dinge fehlen, die ich zwar mitgedacht, aber nicht mitgezeichnet habe, oder die ich nicht in Worte fassen würde, wenn ich eine Bildbeschreibung verfasse.
Aufzugtüren, Pfeile, Farben und Kleidung lenken von einem wesentlichen Aspekt ab, der allen gezeigten Bildern, auch meiner ursprünglichen Skizze, fehlt: Es geht ja gar nicht darum, gemeinsam Aufzug zu fahren, sondern um die Kürze der Zeit, auf die Kommunikation und Kontaktaufnahme begrenzt werden. Der Ausdruck „Elevator Pitch“ ist sprachlich ebenso missverständlich, wie die Zeichnungen, die dazu entstanden sind.
Wenn uns unsere eigenen zeichnerischen Fähigkeiten nicht gut genug sind, glauben wir wirklich, wir könnten Bilder mit Worten besser beschreiben?
Erkenntnisgewinn durch Fehler
Hier ergibt sich aber eine Chance zum Erkenntnisgewinn. Wenn wir Inhalte barrierefrei veröffentlichen wollen, sollten alle Bilder mit einem sogenannten Alt-Text beschrieben werden. Wie hilfreich ein solcher Text für jemanden ist, der das Bild nie gesehen hat, bleibt fraglich. Fehlinterpretationen der künstlichen Intelligenz können uns zeigen, was unseren Texte noch fehlt. Wir hätten aber auch einen Menschen fragen können! Lehrreich und lustig kann es auch sein, eigenen Zeichnungen mit einigen Monaten oder Jahren Abstand zu betrachten. Manchmal habe ich Menschen skizziert, die Vorträge hielten oder denen ich bei Veranstaltungen begegnete. In einer männlich dominierten Branche kam ich schnell zu einer Galerie von Gesichtern mit Brille und Bart, die sich alle sehr ähnlich sahen. Wie hätte ich dieselben Personen anders skizziert, um sie unverwechselbarer darzustellen? Verändert sich dadurch meine Wahrnehmung?
Hätte ich zum „Elevator Pitch“ zugewandte Gesichter, Sprechblasen oder die kurze Fahrzeit durch eine Uhr oder Zeitanzeige symbolisieren sollen? Oder hätte mein zeichnerisches Unvermögen das dann zu einem unlösbaren Bilderrätsel veruntstaltet? Die pragmatische Skizze der Strichfiguren im Aufzugkasten hilft mir immerhin beim Blättern im Buch schnell die entsprechende Seite wiederzufinden, ähnlich wie Piktogramme oft wiedererkennbar, aber ohne Kontext oft unverständlich bleiben wie diese Schilder mit Symbolen an einem britischen Bahnhof, die scheinbar nicht ohne zusätzliche Beschriftungen funktionieren.
Zeichnet!
Fazit: macht Notizen, schreibt und zeichnet! Macht euch euer eigenes Bild von generativer KI, aber bitte hört auf, Blogs und Webseiten mit diesen unpersönlichen Hochglanzbildern zu verschandeln!