Manche sagen, man brauche ein Auto oder müsse fliegen, um die Welt zu sehen. Was man braucht, ist Zeit (und Geld).
Bilder der Reise sind auch in meinem Fotoalbum auf Flickr zu sehen.Der Artikel ist auch auf English verfügbar: Travelling by Train, by Bus, by Foot to experience Scotland without plane nor car.
In das Reich der Legende
In das Reich der Legende gehört die Vorstellung, dass sich Schottland am besten zu Pferd oder einem Land Rover erreichen ließe. Inspiration für eine Reise mit der Bahn findet sich schnell, unter anderem bei Mark Smith, „The Man in Seat 61“, ein Reiseblogger älteren Jahrgangs, der aus eigener Erfahrung schreibt: „There’s no need to fly within Europe.“
Inspirierende Lektüre jenseits der alten Klischees fand ich auch im Blog „Watch me see“ von Kathi Kamleitner, die auch Herausgeberin des Glasgow Vegan Guide ist.
Mit einigen älteren Reiseführern auf Papier, Tipps von Freunden und Informationen aus dem Internet waren wir ausreichend informiert um eine Reiseroute zu planen und angesichts der Hauptsaison Unterkünfte im Voraus zu buchen. Danach haben wir die Recherche beendet, um offen und neugierig auf die Vorschläge der Gastgeber und Weggefährten zu bleiben.
Da die Fahrt von Düsseldorf nach Glasgow mit der Bahn 11 Stunden dauern würde, empfiehlt es sich, am ersten Tag nicht ganz so weit zu fahren. Also planten wir als erste Station einen Aufenthalt im englischen Lake District. Ein außerplanmäßiger Halt des Eurostar kurz hinter Brüssel sorgte schließlich für einen weiteren Zwischenstopp in London. Die Lakes erreichten wir einen Tag später als geplant, und der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfälle.
Im Land von Peter the Rabbit
Lake District und Yorkshire Dales waren mir bereits früher als Reiseziele empfohlen worden. Landschaftlich könnten sie aus meiner Sicht auch Teil der schottischen Lower Uplands sein. In den Yorkshire Dales findet man kleine Bahnhöfe im viktorianischen Stil, die liebevoll mit Blumen dekoriert werden, im Lake District waren die Schilder auch auf Chinesisch beschriftet, da der dort im Englischunterricht beliebte Peter the Rabbit wohl keine Vokabeln für Bahnreisende im Gepäck hatte. Das Örtchen Settle schien wie aus der Zeit gefallen und im nahe gelegenen Malham wusste ein alter Eisverkäufer, der uns als Anhalter mitnahm, zu berichten, dass früher viel mehr Busse unterwegs waren „als noch nicht jeder ein eigenes Auto hatte“.
Nach einer Woche Landleben bezogen wir unsere Unterkunft im West End von Glasgow und genossen Kultur, Musik und Nachtleben der Großstadt. Die U-Bahn ist hier keine „Underground“, sondern eine „Subway“ und verkehrt als Ringlinie mit Outer und „Inner Circle“, der Busverkehr ist tagsüber super und, im Gegensatz zu Edinburgh, nachts kaum vorhanden. Traditionelle Taxen wurden anscheinend weitgehend von Uber verdrängt.
Die Weiterfahrt in Richtung Isle of Skye führt zwischen hohen Bergen hindurch und über das aus den Harry-Potter-Filmen bekannte Glenfinnan-Viadukt zum Fährhafen von Mallaig, wo auch die Autofahrer geduldig auf eine der selten verkehrenden Fähren zur Isle of Skye warten mussten.
Natur und Musik auf der Isle of Skye
Unsere Gastgeber in Sleat, dem grünen „Garten der Insel“ waren zunächst überrascht, dass wir nicht mit dem Auto kamen und gaben uns die Nummer eines Freundes, der E-Bikes verliehen hätte. Auch hier sind wir mit dem Bus sehr gut klargekommen, haben zu Fuß sehr viel von der Landschaft gesehen und den großartigen Folk-Geiger Charlie McKerron live gesehen, für dessen kleines Konzert passenderweise nur wenige kleine Plakate an der Bushaltestelle warben.
Für alle, die noch keine Gelegenheit hatten, Charlie McKerron live zu sehen, gibt es viele gute Alben und Musikvideos von ihm und anderen Musikern wie Tim Edey und Ross Ainslie. Hier ist dennoch ein kleiner Ausschnitt des großartigen, und zumindest für uns unerwarteten Folkkonzerts beim Fèis an Eilein Isle of Skye Festival 2019: Charlie McKerron (Geige), Tim Edey (Gitarre) und Ross Ainslie (Dudelsack und Flöte). Weitere traditionelle schottische Folkmusik ist in der Playlist zu finden.
Nach dem Konzert lud unser Gastgeber uns auf ein Glas Whisky ein und erzählten von früher, als er in Glasgow einen kleinen alternativen Verlag besaß, und dass sich mehrere deutsche Auswanderer auf Skye niedergelassen habe. Eine davon trafen wir einen Tag später. Abhängig von anderen zu sein hat uns große Gastfreundschaft erfahren lassen. Die meisten unserer Gastgeber interessierten sich für unsere Geschichte und gaben uns Empfehlungen jenseits der ausgetreten Pfade mit auf den Weg.
An einem regnerischen Sonntag stiegen viele junge Backpacker mit Fahrrädern zu uns in den Bus ein, eine von ihnen zückte kurze Zeit später ihr Handy und begann auf spanisch wortreich in die Kamera zu sprechen, vermutlich für ihre Follower auf YouTube. Andere hatten weder ein Fahrrad noch ein Busticket und setzten ihren Weg trotz des Regenwetters zu Fuß fort. Sie waren uns bereits auf der Fähre begegnet und erzählten dort einer anderen Mitreisenden, dass sie bereits wochenlang zu Fuß auf Campingtour unterwegs waren.
Die weitere Reise führte uns durch die Highlands nach Inverness, wo es auch einen Zug weiter in den Norden gegeben hätte, und schließlich in die Cairngorms nach Aviemore für unsere letzte große Wandung und schließlich nach Edinburgh, wo wir uns in den Trubel des Fringe-Festivals stürzten. Auf der Rückfahrt in Richtung London lud uns ein junger Mann zum Rotwein ein und schwärmte davon, wie romantisch es sein, fremde Menschen im Zug kennen zu lernen, ohne Namen und Kontaktdaten auszutauschen.
Freiheit und Flexibilität mit Interrail
Der Eurostar nach Brüssel fuhr diesmal planmäßig, jedoch habe ich gelernt, dass der Check-In wie eine Flugreise funktioniert und man auf jeden Fall pünktlich erscheinen sollte. In dem Moment wurde mir erst wirklich klar, welche Flexibilität und Freiheit wir auf den anderen Bahnverbindungen mit unserem Interrail-Ticket hatten. Brüssel selbst war nicht mehr als ein Zwischenstopp, und das Quartier in der nähe dreier Nachtbars nicht die beste Wahl für ohnehin schon übermüdete Reisende. Jedenfalls wäre es cleverer gewesen, stattdessen in London zu übernachten und Fahrt von dort nach Düsseldorf als Supersparpreis der Deutschen Bahn zu buchen. Mit fleißiger Vorabrecherche lässt sich bei Bahnreisen in Europa eine Menge Geld sparen.
Insgesamt kann ich nur sagen, dass wir eine tolle Reise hatten auf der wir nichts vermissten und anscheinend mehr gesehen haben als manche, die mit dem Auto unterwegs waren. Um Schottland und die Welt zu sehen, braucht es kein Auto, sondern vor allem Zeit, und zugegebenermaßen auch das nötige Geld! Dass die Anreise mit dem Flugzeug deutlich billiger gewesen wäre, halte ich für das Ergebnis einer verfehlten und unökologischen Verkehrspolitik, die sich hoffentlich durch eine wachsendes Umweltbewusstsein zum besseren wenden wird.