Roter Himmel (Afire)
Leon möchte, oder denkt er müsste, einen Berlin-Roman schreiben. Dass sich der amibitionierte Schriftsteller dazu in eine einsame Hütte im Wald zurückziehen will, mag an umstrittene Autoren erinnern, die sich zum Schreiben auf die Seychellen zurückzogen. Doch es ist mehr als ein kritischer Blick auf die Mechanismen des Literaturmarkts, unter dessen Druck der Protagonist zu zerbrechen droht. Petzolds Film ist vielleicht selbst zu ernst und ambitioniert, doch Thomas Schubert verkörpert perfekt die Ambivalenz von Aufmerksamkeit und Ignoranz, die von Paula Beer als Nadja mal souverän und gelassen, mal zurecht zornig entlarvt wird, und der Kontrast der dunkel gekleideten Gestalt zur bunten Sommerlichkeit der Umgebung und der scheinbar sorglosen Mitbewohner und Gäste macht Roter Himmel (Afire) trotz aller Klischees zu einem sehenswerten Film.
aftersun, Call me by your Name, C’mon C’mon
Aftersun ist eine weitere Sommerstory, deren Ambivalenz mich an Call Me By Your Name erinnerte. Auch hier kontrastiert die scheinbar unbeschwerte Freude der anderen Menschen mit einer Melancholie, deren Grund sich erst auf den zweiten Blick erschließt.
Wie Luca Guadagninos Verfilmung von André Acimans homosexuellem Coming-of-Age-Roman feiert auch Charlotte Wells‘ aftersun die Ästhetik der Achtzigerjahre mit ihrer knallbunten Mode im grellen Sonnenlicht oder durch die verschwommene Optik einer VHS-Videokamera. Als Zuschauer:innen teilen wir die Retrospektive der erwachsenen Sophie, die sich erschließen will, was ihr als Jugendliche verborgen blieb. Passenderweise bekam auch die junge Schauspielerin Frankie Corio zunächst nicht das ganze Drehbuch zu sehen.
Schließlich musste ich auch an einen Film denken, den ich im vergangenen Sommer sah: auch in C’mon C’mon wird ein Erwachsener, der mit eigenen Problemen kämpft, von einem Kind herausgefordert, hier der junge Woody Norman als Jess. Komplett in Schwarzweiß gedreht, könnte dieser Film gleichermaßen Kontrast und Ergänzung zu den zuvor erwähnten sein, und mit etwas Glück noch einmal in einer sommerlichen Sondervorstellung eines Programm- oder Freiluftkinos zu sehen sein.
Auch Close (ebenfalls mit großartigen Nachwuchsdarstellern jenseits der üblichen Gesichter und Klischees) und Wo in Paris die Sonne aufgeht (Les Olympiades / Paris, 13th District – ein weiterer beeindruckender Schwarzweißfilm, der erstaunlich unbeachtet blieb und zu schnell wieder aus dem Kinoprogramm verschwand), werde ich mir gerne noch ein zweites oder drittes mal ansehen.
Ansehen möchte ich auch „All the Beauty and the Bloodshed“ mit Nan Goldin, und „Augure“ von Baloji, auf die ich eventuell in späteren Artikeln noch ausführlicher eingehen werde.