Mittelstandskinder ohne Strom
Der Name eines ehemaligen deutschen Goa-Trance-Musikprojekts passt perfekt zu den, in sozialen Netzwerken wie Instagram, aber auch auf matt gedruckten Retro-Magazinen wie Flow und Walden, genährten Illusionen über das #Vanlife: die Idee, sich einen VW-Bus zu kaufen und damit alles hinter sich zu lassen, was am bisherigen Leben genervt hat.
Der Traum vom Road Trip
Jung und das Leben noch vor sich, ein vollgetanktes Reisemobil auf dem Parkplatz und spannende Begegnungen mit anderen Reisenden. Alles könnte so schön sein und ist es auch, aber nicht nur, im Roadmovie 303, ein Film über zwei junge Menschen, die eine weite Reise in einem alten Wohnmobil unternehmen.
Nachhaltigkeit und die Grenzen der Freiheit
„Pure Idylle“, „Freiheit auf vier Rädern“, „Van Life“, aber auch „die Grenzen der Freiheit“ lauten einige der Texte am Rande der vielen schönen Bilder übers Bulli fahren. Auf den ersten Blick mag es absurd erscheinen, dass gerade jetzt, wo das urbane Leben ohne eigenes Auto immer beliebter wird, andererseits der Traum vom Roadtrip wieder auflebt. Solche Roads muss man erstmal finden, auf denen das Fahren noch Spaß macht, weil es statt Stau und überfüllten Stadtstraßen freie Fahrt in unberührter Natur zu genießen gibt. Das unübersehbare Paradox thematisieren manche der fröhlichen Artikel zumindest am Rande: wir zerstören, was wir lieben. Wenn Massen in die freie Natur strömen, um dort mit Verbrennungsmotoren hin und her zu fahren, ist das irgendwann auch nicht besser als Flugreisen. Nachhaltiges Reisen mit dem Bulli oder Camper hört aber noch lange nicht beim Motor auf. Müll vermeiden, Abwasser korrekt entsorgen, Torftoiletten statt Chemieklos und die Auswahl umweltfreundlicher Campingplätze sind vernünftige Entscheidungen, um den eigenen ökologischen Fußabdruck beim Van Life zu verkleinern.
Leben und arbeiten?
Schon kurze Trips mit oder ohne Bulli führen schnell die Grenzen eines vermeintlichen Lebenstraums auf der Straße vor Augen. Klar, wer hauptberuflich übers Reisen bloggt, kann das sehr gut von unterwegs aus erledigen, aber ein Bürojob am Computer ist selbst mit 100% „Homeoffice“ unterwegs nicht leicht zu erledigen. Strom und Internet sind trivial, vielleicht genügt sogar eine gute Solaranlage, um ein sparsames Laptop mit Strom zu versorgen, und bei der Auswahl der Stellplätze sind WLAN und Steckdosen für viele selbstverständlich.
Habt ihr mal versucht, ein Meeting mit Kolleginnen und Kollegen oder gar einen Neukundentermin von unterwegs abzuhalten? Lärm und schlechte Lichtverhältnisse lassen sich schönreden, solange ich allein arbeiten kann, aber eine Videokonferenz auf einem Parkplatz am rauschenden Meer ist nicht für alle Beteiligten die pure Idylle!
Der „Journeyman“ Fabian Sixtus Körner spart in seinem Buch Mit anderen Augen nicht mit konkreten Details schwieriger Situationen. Humorvoll, aber realistisch berichtet er, wie beengt es sich anfühlt, an einem Regentag zu dritt im VW-Bus zu sitzen und sich nur schwer auf die Arbeit an seinem Buch konzentrieren zu können. Dennoch ist Körner der Meinung, dass das Reisen mit Kind und Kegel zu den schönsten Erfahrungen zählt, die er jemals gemacht hat.
Ich persönlich arbeite immer noch am besten an einem Schreibtisch, allein zu Haus oder auch mal mit Kolleginnen und Kollegin im Büro oder im Coworking-Space. Manchmal finde ich es inspirierend, unterwegs zu arbeiten und manchmal kommen mir auf Reisen oder Spaziergängen Ideen, die ich mit wenigen Worten aufschreibe, um sie später in Ruhe umzusetzen – mit großem Bildschirm, schnellem Internet und einer Tür, die ich schließen kann um ungestört zu telefonieren oder zu zoomen.